Die Bildungsstätte Anne Frank organisiert jährlich einen Kunstwettbewerb, dessen Thema 2020 die Frage nach dem Sinn und Unsinn von Grenzen war. Anhand eines Plakates und eines Textes sollte dargestellt werden, welche Grenzen man überwinden möchte, oder wo man Grenzen zieht.
Zwei Tierbefreiungsaktivistinnen haben hierzu spontan ein Konzept entworfen, mit dem sie das Mensch-Tier-Verhältnis und die Ausgrenzung von Tieren* in unserer Gesellschaft thematisieren wollten:
„Grenzen können unterschiedlichste Formen annehmen. Sie stellen Konstrukte dar, die meist historisch und kulturell bedingt sind. Doch anhand welcher Kriterien ziehen wir Grenzen? Sind diese Kriterien willkürlich gewählt? Und welche Konsequenzen haben sie für unsere Gesellschaft?
Grenzen setzen ist in manchen Bereichen des Lebens unabdingbar, in anderen markieren sie den Beginn von Ausgrenzung. Denn diese beginnt dort, wo Diskriminierung gerechtfertigt wird – sei es durch Verallgemeinerungen oder Kategorien wie Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Alter oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies.
Grenzen sagen viel über unsere Werte aus, da sie oft eng mit ihnen verknüpft sind und sie sichtbar machen. Sie können ungleiche Machtverhältnisse hervorrufen und Überlegenheit symbolisieren, wenn eine Gruppe mit gewissen Privilegien eine Grenze zieht, um sich über eine andere, weniger privilegierte Gruppe zu stellen. Letztere sind beispielsweise BIPoC (Black and Indigenous People of Color), Frauen, Trans*Menschen, LGBTIQ*, Menschen mit Behinderung oder Tiere.
Mit unserem Beitrag zum Kunstwettbewerb möchten wir darüber zum Nachdenken anregen, dass auch Tiere Ausgrenzung erfahren und eine marginalisierte Gruppe in unserer Gesellschaft darstellen.
Die Diskriminierung aufgrund der Spezieszugehörigkeit nennt man Speziesismus. Der Begriff wurde 1970 von Richard Ryder entwickelt, um die Unterdrückung, Benachteiligung und Stigmatisierung von Tieren sichtbar zu machen. Er ist analog zu Rassismus, Sexismus oder Ableismus zu verstehen. Ob in Büchern, auf dem Essenstisch oder beim Zooausflug mit der Schule – Speziesismus durchzieht die gesamte Gesellschaft. Von Geburt an wird Menschen vermittelt, dass die Bedürfnisse von Tieren, die nicht der Spezies Mensch angehören, weniger wichtig seien, als die der Menschen. Die Diskriminierung von Tieren ist mehr als nur ein gehäuftes Auftreten tierquälerischer Praktiken – sie ist strukturell: Tiere werden in unterschiedlichsten Bereichen gesellschaftlichen Lebens ausgebeutet, wie zum Beispiel zum Zweck von Unterhaltung, Lebensmittel, Medizin oder Kleidung.
Anhand welcher Kriterien ziehen wir die Grenze zwischen Mensch und Tier? Ist es die Intelligenz, die uns unterscheidet? Die Kommunikationsfähigkeit? Das Sozialverhalten? Die Leidensfähigkeit? Und wieso behandeln wir längst nicht alle Tiere so gut wie diejenigen, mit denen wir unsere Wohnung teilen? Ist die Unterscheidung zwischen Haustier und Nutztier nicht willkürlich und kulturell bedingt? Sind wir letztendlich nicht auch Tiere?
Die Ausgrenzung von gewissen Gruppen mag anhand unterschiedlichster Kriterien stattfinden, doch alle Unterdrückungsmechanismen sind eng miteinander verwurzelt und zeigen deutliche Parallelen. Diskriminierende Denkmuster und Verhaltensweisen sind meist gesellschaftlich konditioniert und können somit auch wieder abgelegt werden, wenn wir unseren Einfluss unserer eigenen Taten und Worte auf benachteiligte Gruppen kritisch hinterfragen. Wenn wir gelernte Grenzen versuchen einzureißen und bestehende Ungerechtigkeitsverhältnisse aufzubrechen.
Denn die Unterschiede zwischen Mensch und Tier bestehen nicht grundsätzlich, sondern nur graduell. Die vier abgebildeten Tiere auf dem Plakat bestehen aus einer einzigen Linie: Sie gehören zusammen und bilden eine untrennbare Einheit. Wir alle haben die Handlungsmacht, unsere eigene Linie zu ziehen und gesellschaftlich gegebene Grenzen entweder zu akzeptieren oder Ausgrenzung nicht zu tolerieren. Wir wünschen uns, dass Grenzen hinterfragt werden und aktiv darauf hingearbeitet wird, dass alle Lebewesen auf diesem Planeten in Freiheit, selbstbestimmt und frei von Diskriminierung leben.
Für eine befreite Gesellschaft, in der Grenzen der Vergangenheit angehören!“
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Künstlerin: www.LauraDeLuca.de