Zoos sind Repräsentanten der Herrschaft über alle Tiere und bilden Speziesismus. Mit einem Blick in die Geschichte von deutschen Zoos und der bis in die 50er Jahre reichende Zurschaustellung von Bi_PoCs wird deutlich, dass nicht nur die Herrschaft über nicht-menschliche Tiere zum Ausdruck gebracht wurde, sondern auch ihr bis heute spürbarer Anteil an rassistischen Denkmustern. Kolonialismus und zoologische Gärten sind eng miteinander verwurzelt.
Zwischen 1875 und 1930 mussten über 400 Menschengruppen in Zoos, Zirkussen, Jahrmärkten und Volksfesten als Darstellungsobjekte für sogenannte „Völkerschauen“ herhalten. [1] Dabei wurden sie gezwungen bis zu zehn Stunden täglich zu arbeiten und sich der Schikane der Zoo-Besucher*innen auszusetzen.
Entgegen der Behauptung, die Vorführungen dienten der Völkerkunde, hatten sie tatsächlich nie den Anspruch den Alltag der Menschen darzustellen, sondern Profit zu erwirtschaften und die Überlegenheit der Weißen zu suggerieren. Am besten gelang dies, indem stereotype Vorstellungen der deutschen Bevölkerung bedient wurden, die wiederum den Schilderungen der Kolonialherren entsprachen. Zu den Vorführungen gehörten handwerkliche Arbeiten, Rituale, Tänze oder kämpferische Auseinandersetzungen. Als besondere Attraktionen haben Veranstalter die Hochzeiten, Geburten oder den Tod von Menschen beworben. Die Menschen wurden gedemütigt, mussten harte Arbeit verrichten und sind häufig an Infektionskrankheiten gestorben.
Bei der Zusammensetzung der auftretenden Gruppen wurde neben einer breiten Altersspanne darauf geachtet, dass Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind, damit die Besucher*innen einen angeblich authentischen Eindruck der Kultur und über ihr Familienleben gewinnen könnten.
Das Argument, dass die Zurschaustellung von Menschen zur Bildung der Bevölkerung beitrage, fand damals gleichermaßen Anwendung wie heute für die Zurschaustellung von Tieren*. Als Rechtfertigung für die Existenz zoologischer Einrichtungen dienten neben der Völkerkunde auch „wissenschaftliche“ Erkenntnisse – damals für die Ethnologie, heute für den Artenschutz. [2]
Ein vorläufiges Ende der rassistischen Völkerschauen stellte neben schwindendem Interesse das 1940 in Kraft getretene, nicht weniger rassistische Auftrittsverbot für Schwarze dar. Die letzte Völkerschau in Deutschland fand 1959 auf dem Oktoberfest in München statt.
Völkerschauen im Frankfurter Zoo
Auf dem Gelände des Frankfurter Zoos veranstalteten unterschiedliche Anbieter wie z.B. Zirkusunternehmen Völkerschauen. Carl Hagenbeck – Tierhändler und Gründer des Hamburger Tierparks Hagenbeck – bot mit etwa einem Dutzend Vorführungen, die jeweils drei bis vier Wochen gastierten, die meisten Völkerschauen an. Er führte zwischen Kamelen, Flusspferden und Zebras auch „abnorme“ oder „exotische“ Menschen vor. [3]
Mit seiner zentralen Lage in der Großstadt war der Frankfurter Zoo für Völkerschauen ideal geeignet. Im Jahre 1905 wurden bspw. mehr als 70 Menschen aus Indien gemeinsam – wie es für Ausstellungen Hagenbecks üblich war – mit Tieren* wie Elefanten und Eseln präsentiert. [4] Die Haltung von Menschen und anderen Tieren innerhalb eines Geheges sollte ein authentisches Bild der Lebenswirklichkeiten in den Herkunftsländern erwecken.
Eine Parallele zur heutigen Tierausbeutung in Zoos findet sich auch hier. Die sogenannte Vergesellschaftung verschiedener Tierarten innerhalb eines Geheges soll der attraktiven und lebendigen Erscheinung im Auge der Besucher*innen und somit der Attraktivität eines Zoobesuchs dienen. Mit einem Mehrwert für die Tiere* ist sie meist nicht verbunden.
Unabhängig von der „Qualität der Völkerschauen und die Behandlung der Akteure, welche je nach Anbieter sehr stark variierten“, wie der Frankfurter Zoo selbst schreibt, dienten alle Völkerschauen in erster Linie der Manifestierung von Machtstrukturen gegenüber Bi_PoCs und beuteten tausende Menschen für den Profit der Weißen aus.
Keine Spur von Selbstkritik
Hinweis: Der folgende Abschnitt bezieht sich auf die Website des Frankfurter Zoos bis 2020. Seit 2020 oder 2021 ist dort eine Distanzierungserklärung gegenüber den Völkerschauen zu finden.
Auf der Website des Frankfurter Zoos machen die Völkerschauen textlich rund 1,5% der Rubrik „Geschichte“ aus. Wer glaubt, dass sich in diesem Abschnitt auch nur ein Wort der kritischen Aufarbeitung findet, irrt sich. Das Gegenteil ist der Fall.
Als seien die Völkerschauen als geschichtsträchtige Ereignisse nicht beschämend genug, wird die 51 Jahre andauernde Ausbeutung von Menschen im Frankfurter Zoo heruntergespielt, indem sich bspw. der Beitrag zu den Völkerschauen neben Musikveranstaltungen, Eislaufen und Zooführungen in der Kategorie „Sonderveranstaltungen“ wiederfindet.
In dem Beitrag heißt es, dass die Menschen aus den Tierfanggebieten Hagenbecks die Transporte oft „begleiteten“. Unerwähnt bleibt, dass sie oft unter falschen Versprechungen und mit Arbeitsverträgen, die sie selbst nicht lesen konnten, nach Deutschland gebracht oder entführt wurden. [5]
„Zoos standen diesen Tier- und Volksausstellungen zunächst negativ gegenüber, doch sowohl das Publikumsinteresse als auch das Bestreben, das Bildungsangebot – in dem Fall durch die Verbindung von Tierkundlichem und Völkerkundlichem – zu erweitern, führten zum Umdenken.“ [6]
Die Verwendung des Begriffs Bildung ist im Zusammenhang mit Völkerschauen zutiefst abwegig und verachtenswert. Wenn man allerdings bedenkt, dass das Betrachten eingesperrter Tiere von derselben Einrichtung als Bildungsmöglichkeit bezeichnet wird, rückt der Wortlaut des Frankfurter Zoos in ein anderes Licht. In dem obigen Zitat wird weiterhin deutlich, dass der Zoo neben dem vermeintlichen Bildungsangebot durch Völkerschauen die Verantwortung an der Ausbeutung von Menschen beim Publikum sieht.
Der Frankfurter Zoo hält es im Jahr 2019 – trotz geäußerter Kritik – immer noch nicht für nötig, Völkerschauen als Teil der eigenen Geschichte zu thematisieren und angemessen aufzuarbeiten.
Kannibalenschau, 1931
Liste der Völkerschauen im Frankfurter Zoo (1878 – 1931)
Die Bezeichnungen der im Folgenden aufgelisteten Völkerschauen entsprechen denen der damaligen Zeit. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
1878: Nubier-Karawane (C. Hagenbeck)
1879: Indianer-Schau; 54 000 Besucher*innen innerhalb von zwei Wochen
1879: Nubier-Karawane (C. Hagenbeck)
1880: Achtköpfige Gruppe von Labrador-Eskimos; starben Anfang 1881 trotz mehrfacher Impfungen an Pocken
1884: Kalmücken-Karawane (C. Hagenbeck)
Teil der Schau waren Zelte, Geräte, viele Pferde, eine große Herde von Trampeltieren und Fettschwanzschafen. Die Besucher*innen konnten sehen, wie die Tiere täglich gemolken wurden und wie die Kalmücken aus der Milch ein säuerliches Getränk erzeugten. Zu der Vorführung gehörte auch die Darstellung einer Steppenwanderung, bei der sie all ihren Besitz auf die Tiere und Wagen luden, um die Zelte dann wieder aufzustellen. [9]
1884: Affenmädchen Krao „Missing Link“
Der Londoner Schausteller Farini kam für eine Woche in den Frankfurter Zoo und zeigte „das schwarze Affenmädchen Krao“, auch „Missing Link“ genannt. Wegen ihres starken Haarwuchses am gesamten Körper sollte sie in Anlehnung an die Darwin’sche Abstammungslehre das fehlende Glied zwischen Mensch und Affe darstellen.
Krao wurde mitsamt ihrer Familie im Hof des Königs von Laos gefangen gehalten und von Farini erworben. Im Alter von sechs Jahren wurde sie mit ihrem Vater, der auf der Reise an Cholera erkrankte und starb, nach London gebracht und bis zu ihrem Tod in Europa und den USA zur Schau gestellt.
Um das Bild von Krao als Bindeglied der Evolution zu bekräftigen, wurde behauptet, sie hätte einen zusätzlichen Brustwirbel, ein weiteres Paar Rippen, besonders flexible Finger, knorpellose Ohren und Nase, sowie Schädelmaße, die denen von Menschenaffen entsprechen.
Im Jahr 1894 trat sie ein zweites Mal in Frankfurt auf. [11]
1885: Ceylon-Karawane, Singhalesen (C. Hagenbeck)
Bei der ersten Schau traten 43 Singhales*innen, 25 Elefanten und jede Menge Rinder auf. Laut einem Bericht der „Kleinen Presse“ waren bei einer zweiten Schau 1885 nur noch drei Menschen anwesend. Die restlichen waren in ihre Heimat zurückgekehrt oder gestorben. [9]
1885: Ausstellung von Australnegern (Zirkusunternehmer Barnum)
Die hier gezeigten Menschen, die aus dem britisch kolonialisierten Australien stammten, standen aus europäischer Sicht auf der untersten Stufe der „Naturvölker“. Von ursprünglich acht Australiern, die zu der Schau gehörten, lebten beim Eintreffen in Frankfurt noch fünf. Einer wurde in Frankfurt krank und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. [9]
1888: Beduinen-Schau
1889: Somali-Schau
1890/91: Beduinen-Schau in Frankfurt (Ernst Pinkert)
1891: Dahomey-Schau (Hagenbeck)
Die „Amazonen“ mussten unter anderem Scheingefechte mit Feuersteingewehren vorführen, die mit Opfer- und Schlachttänzen endeten. Insgesamt waren an der Schau wohl 24 Frauen und 14 Männer beteiligt und mussten täglich acht Schauen aufführen. [9]
1894: Dinka-Neger-Truppe; 58.000 Besucher*innen; 22 Frauen und Mädchen, 4 Männer
1896, 1897: Samoaner-Schau
1897: Kalmücken-Schau
1899: Bischarin-Nomaden aus Ägypten (Willy Möller), 70 Personen
1901: Samoaner-Schau
1905: Große Inder-Schau (Gustav und John Hagenbeck, Brüder von Carl Hagenbeck), 60.000 Besucher*innen innerhalb von zwei Wochen
1908: Somali-Truppe (C. Hagenbeck), wurden mit großer Menge afrikanischer Tiere, darunter zwölf gezähmte Grevy-Zebras und zwei afrikanische Elefanten
1910: Samoa
Die 26 Personen führten mehrmals täglich ein zwei stündiges Programm auf, das Wettrudern auf dem Weiher, das Braten eines Schweins, Gesänge und Tänze umfasste, sowie die Darstellung der Ausgrabung einer Wurzel, aus der sie ihr Nationalgetränk herstellten. Höhepunkt der Vorstellung stellt die Fahrt auf einer Wasserrutsche dar, bei der die Person gerne das Gleichgewicht verlor, mit dem Kopf zuerst in die Fluten schoss und Gelächter beim Publikum auslöste. [9]
1922: Arabische Gauklertruppe (John Hagenbeck), 30 Männer und Frauen
1925: 70 Singhales*innen und Inder*innen, 894 Tiere (John Hagenbeck)
1925: Lappländer (Ruhe)
1926: Große afrikanische Völkerschau – abessinische Somalis
1930: Lippenneger, als Vorbereitung ist der Film „Unter Wilden und wilden Tieren“ gezeigt worden
1931: Südsee-Insulaner
Dies war die letzte Völkerschau im Frankfurter Zoo. Hierbei handelte es sich um damals als „Menschenfresser“ bezeichnete Ureinwohner der Kolonie Neukaledonien. Die 111 in Paris zur Schau gestellten Kanak – wie sie sich selbst bezeichnen – wurden 1931 gegen Krokodile aus dem Frankfurter Zoo getauscht. In Paris wurden sie als Primitive präsentiert, die wilde Schreie ausstoßen, rohes Fleisch essen und die Frauen sich mit nackten Brüsten zeigen mussten. Besucher*innen bewarfen sie mit Bananen und teilweise Steinen. Es bleibt zu hoffen, dass sie in Frankfurt ein weniger menschenverachtendes Leben erwartet hat. [7]
Einzelnachweise
[9] Von Bürgern für Bürger – 125 Jahre Zoologischer Garten | Christoph Scherpner, Frankfurt am Main 1983
[10] Für fünfzig Pfennig um die Welt: Die Hagenbeckschen Völkerschauen | Hilke Thode-Arora, Frankfurt am Main 1989
Vielen Dank an Clemens Radauer von humanzoos.net für das Zurverfügungstellen mehrerer Bilder.
Text von Carsten Pochert